Central Asia Marathon Challenge (4. Destination): Marathon in Tadschikistan
Nach dem Marathon vor dem Pakhtakor Athletic Stadion in Taschkent ab 8 Uhr am 13. Oktober ist die Abfahrt mit einem Reisebus für 16 Uhr angesetzt. Wer den angebotenen late-Check out bis 14 Uhr überschreitet, zahlt 20 USD Aufpreis fürs Zimmer. Alle über 6 h-Finisher müssen wohl oder übel diese Option beanspruchen. So komme ich zu einer langen warmen Dusche und dann um 15:45 Uhr relativ ausgeruht zur Rezeption. 24 Stunden später werden wir hier wieder eintreffen, noch aber steht uns die Fahrt nach Tadschikistan und dort morgen der Marathon bevor.
Eine lange Fahrt zur Grenze
Für die ca. 25 Teilnehmer/innen bietet der Reisebus ausreichend Platz, fast jede/r außer Paare wie die Fullers, Alain und Helene von der Insel La Réunion nahe Mauritius, Mario und Doris Sagasser beansprucht einen Sitzplatz für sich alleine. Einigen sieht man die Müdigkeit an – Deborah äußert sich mir gegenüber, dass sie morgen definitiv die 7 Stunden ausnutzen werde, um sich zu schonen, was ich nicht so ganz glauben kann, weil sie vor Ehrgeiz innerlich brennt.
Ziyad hat die Busfahrt zur Grenze mit 1 ½ Stunden bemessen. Die tatsächliche Entfernung über Straßen von Taschkent nach Chudschand beträgt ca. 160 km, wofür Reisebücher Fahrzeiten inkl. Kontrollen bis zu 6 Stunden veranschlagen.
Das Prozedere wird so sein wie bei der Fahrt von Almaty nach Bischkek: wir werden aus Zeitgründen den Bus an der Grenze zu Tadschikistan wechseln und dort in einen anderen einsteigen. Ziyad muss man echt gratulieren, bei diesen vielen Details die Übersicht bewahrt zu haben.
Draußen wird es dunkel, wir fahren seit mehr als 2 Stunden, noch ist die Grenze nicht in Sicht. Die Geschwindigkeit des Reisebusses beträgt nur 60 km/h, die Straße ist eng, das Verkehrsaufkommen auf beiden Seiten groß. Wie bei einer Bootsfahrt auf einen See tuckert der Bus mit Dieselmotor gemächlich dahin.
Das Objektiv meiner Digicam ist zu lichtschwach, Smartphones haben inzwischen qualitativ höherwertige Linsen und eignen sich auch für Nachtfotos. Ich kann durch das Busfenster wegen der Dunkelheit nicht erkennen, an welchen riesigen Feldern wir vorbeifahren. Vor mir sitzt Aziz Elkardoudi, der auch bei bisher allen drei Marathons gestartet ist. „Are we passing by cotton fields?“, frage ich ihn. Im Gegensatz zu mir hat er mit seinem holländischen Provider eine Vereinbarung getroffen, die es ihm um 10 Euro/Tag ermöglicht, weltweit während der Reise unbeschränkt mobile Daten zu nutzen. Aziz googelt und antwortet: „Uzbekistan is the world's sixth largest producer of cotton, producing over 1 million tons annually“. So jetzt wissen wir’s – ähnlich große Felder habe ich nach 6 Wochen Arbeit als Tabakpflücker in Ontario/Kanada bei einer großen Rundreise 1974 im US Cotton Belt gesehen. Sollten wir eine Pause machen und der Bus nahe einem Feld halten, werde ich als Souvenir etwas Baumwolle von einer Pflanze entnehmen.
Zwar ist kein Stopp geplant, doch bei einer Tankstelle ist es dann soweit – einige müssen sich erleichtern. Das WC dort ist geschlossen, der Umweg in ein Maisfeld unausweichlich. Nur 200 m entfernt erstreckt sich, soweit mein Auge in der Dunkelheit noch reicht, ein riesiges Baumwollfeld. Die Samenhaare der Pflanze sind so weich, dass man begreift, warum die Baumwolle zu den bedeutendsten Naturfasern gehört. Ich entnehme drei kleine Bündel, im Bus zurückgekommen, will ich Yvonne mit einem damit erfreuen – es scheint aber, dass diese zu Naturprodukten eine Distanz hat.
Der Bus fährt weiter, wir nähern uns der Grenze – LKWS sind auf beiden Seiten der Straße in langen Kolonnen geparkt. Der Busfahrer tut sich schwer, an der usbekisch-tadschikischen Grenze einzuparken. Wir steigen aus, holen das Gepäck aus dem Stauraum, leider hat meine neue Reisetasche schon wieder einen Kratzer bekommen. Schwere Hartschalenkoffer sind robuster als der recycelte Oberstoff meiner Samsonite-Tasche.
An der Kontrollstelle werden zunächst alle Gepäckstücke geröntgt, dann die Pässe kontrolliert und gestempelt – wir reisen aus Usbekistan aus. Auf aufgebrochenem Asphalt mit Sand und Schotterresten bewegen wir uns mit den Gepäckstücken im Schlepptau voran zur nächsten Kontrollstelle, noch immer sind wir im Hoheitsgebiet von Usbekistan. Es gehört zur Unart mancher Einheimischer, sich einfach unverschämt an den wartenden ausländischen Touristen vorbei zu drängen, um früher zur Passkontrolle zu kommen.
Es ist noch dazu Freitagabend, was insgesamt für einen stärkeren Grenzverkehr sorgt. Viele LKW-Fahrer haben ihre Autos verlassen und müssen die Frachtpapiere vorher genehmigen lassen. Auch das führt zu Verzögerungen. In relativer Dunkelheit bewegen wir uns gut 500 m quasi durchs Niemandsland zur tadschikischen Kontrollstelle. Dort beginnt das Prozedere von neuem – ich befürchte schon, dass meine wenigen leeren Seiten im Reisepass so leichtfertig von Grenzbeamten aufgebraucht werden könnten. Bis wir alle die in mehreren Etappen zu ertragenden Kontrollen hinter uns haben, sind 1 ½ h vergangen. Ich komme gemeinsam mit Karen Michelsen, die sich mit ihrem schweren Rollkoffer auf dem erdigen Untergrund schwer tut voranzukommen, als letzter zum Bus. Von der Grenzstation in Usbekistan bis zu jener in Tadschikistan sind wir mehr als 1 km zu Fuß gegangen.
Der tadschikische Bus wartet schon, ich helfe Karen beim Verladen ihres schweren Koffers. Nun kann es losgehen – es sind ca. weitere 90 km bis Chudschand, in der englischen Bezeichnung Khujand geschrieben. Wer würde schon nach Tadschikistan reisen ohne einen triftigen Grund zu haben – Abenteurer, Wanderer, Kletterer, die die schroffen Berge dieses Hochgebirgslandes mit 143.100 km² und ca. 9,5 Millionen Einwohnern ergründen wollen. Wir wollen hier morgen einen Marathon laufen, einen guten Grund gibt es daher definitiv, die Reisestrapazen mit innerer Freude auf den 4. Länderpunkt zu ertragen.
Ziyad bleibt bei seiner bewährten Strategie, zuerst den Bauch vollschlagen und dann Abmarsch ins Hotel. Deborah will diesmal aufs Abendessen verzichten, die Gruppe stimmt dagegen. Gegen 22 Uhr betreten wir ein Restaurant direkt in der Altstadt, der Bus parkt unterdessen in einer Seitenstraße. Die auf großen Schüsseln servierten Speisen enthalten ausgewogen neben Salaten auch Fleischspezialitäten in kleinen Portionen, die gemeinschaftlich entnommen werden. Wer unverschämt zulangt, bekommt mehr. Man gewöhnt sich aber an diese Essensform, auch an die Salate, die aber bei einigen wohl dank der Zutaten wie Öl bisher zu leichter Diarrhö geführt haben.
Ich staune nach dem Transfer zum Hotel wirklich, als wir beim Parliament Palace Hotel aussteigen, um dort Quartier zu beziehen. Ziyad hat sich dabei selbst übertroffen – nach der Sportherberge in Taschkent fühlt man sich in diesem mind. 4-Sterne-Hotel wie ein High Society Gast. Mein Zimmer hat 25 m2, Beleuchtung und Klimaanlage funktionieren auf Displaydruck. Das riesige Bad möchte ich nach dem Marathon morgen länger nutzen, egal wieviel ich dann aufzahlen muss. Es ist bereits 00:40, als ich zu Bett gehe, vorher habe ich die Laufsachen für den Marathon hergerichtet.
4. Marathon im Kamoli Khujandi Park
Das Buffetfrühstück ist seit 7 Uhr offen, mehr als knapp 6 Stunden sind seit Mitternacht nicht verblieben. Ich sitze mit Thomas Schaller (für alle 4 Halbmarathon gemeldet) und Jack Haug, dem schnellen Schweizer Pferdebetreuer und Weinbauer, der nächstes Jahr bei einem Ultralauf durch die Schweiz mitmachen will, an einem Tisch. Uns schmeckt das Essen, aber wir haben nur eine halbe Stunde Zeit. Ziyad hat gestern Nacht die gute Nachricht via WhatsApp verbreitet, dass 4 Zimmer bis 16 Uhr und weitere 2 Räume fürs Duschen offenstehen. Lichu Sloan, Deborah Lazerson, Thomas Schaller und ich dürfen ihre Zimmer länger nutzen. Da kommt Freude auf.
Der Bus bringt uns zum Startort, dem von Touristen und Einheimischen vielbesuchten Kamoli Khujandi Park in Chudschand. Bei wolkenlosem Himmel und 12 Grad C jetzt knapp nach 8 Uhr morgens herrschen ideale Bedingungen für einen Marathon. Das ortsansässige Helferteam von Ziyad hat 28 Runden zu etwas über 1,5 km festgelegt. Mit freiem Auge erkennt man die vom Eingang des Parks gleichmäßig nach Norden abfallende Steigung, allerdings in der vollen Länge von kaum mehr als 5 Metern.
Mein Ziel ist heute, obwohl etliche Kolleginnen und Kollegen über eine gewisse Müdigkeit klagen, zumindest den Powerwalker Thomas Godlewsky (Nr. 63) zu überrunden – und wenn möglich auch Don Bierer (Nr. 65), der bisher auch immer (mitunter knapp) vor mir finishte.
Ziyad wird heute selbst bei der Rundenkontrolle dabei sein, wie tlw. auch bei den vorangegangenen Läufen, möchte aber zumindest den Zehner laufen. Er gibt das Kommando, ich komme mit einer 7er-Zeit weg, aber schon auf der zweiten Runde haben die meisten mich wieder eingeholt. Bis auf die sogenannten Konkurrenten, die ich eben namentlich genannt habe. Auch Deborah (Nr. 88) und Doris (Nr. 93), die Frau von Mario Sagasser, liegen sowie zunächst Parvaneh (Nr. 75) und sogar Steven (Nr. 66) hinter mir.
Mit Spannung erwarte ich das vermeintliche Duell zwischen nun drei Läufern, die schnell sind: Arkadiusz Babij (Nr. 54), Jack Haug (Nr. 81) und auch Mario Sagasser (94). Letzterer sollte Vorteile haben, denn er ist erst in Taschkent zu uns gestoßen und dies ist sein erster Marathon auf der Tour.
Auch bei den Frauen wird sich zeigen, ob wie in den Rennen zuvor Sally Shreeves (Nr. 61) oder diesmal vielleicht Yvonne Duvois (Nr. 67) die Oberhand behalten wird.
Parvaneh läuft zu mir auf, wir bleiben mehrere Runden zusammen. Als gebürtige Iranerin mit US-Staatsbürgerschaft spricht sie Farsi und versteht die an einem Samstagvormittag im Park spazierenden Menschen, die Dari sprechen, eine Varietät des Persischen. Sie erzählt mir, dass sie an einem Marathon in Kolumbien Ende November teilnehmen will. Die Strecke habe 7 Stunden geöffnet, das hört sich interessant an. Den genauen Ort kann sie mir ad hoc nicht nennen, ich werde mich selbst erkundigen.
Die stets fröhliche Nandini Alinier (Nr. 100) will heute ihren überhaupt 1. Marathon probieren, bisher ist sie ja immer die Halbdistanz gelaufen wie auch Thomas Schaller (Nr. 98) und Alain Joineau (Nr. 52).
Wer viel Zeit hat, uns beim Rennen zu fotografieren, ist Hélène Cheynet (57), die nach ihrem vierten 10 km-Lauf gegen den Uhrzeigersinn spazierend alle auf der Strecke befindlichen mehrfach mit ihrem Smartphone knipst und die vielen Fotos dann auf die WhatsApp-Seite der Laufgruppe zur freien Verfügbarkeit stellen wird. Hegina Fuller (Nr. 56), auch für alle vier 10 km-Läufe gemeldet, bemüht sich um ihren um 20 Jahre älteren Mann Steve, der mit 74 Jahren sehr viel Routine hat und mich (bald 70) bisher immer souverän abgehängt hat.
Auch Abdulrahman Althani (Nr. 51) hat sich die Tour geleistet, nur um 4 x 10 km in einer 6er-Zeit zu laufen. Er trägt heute das tolle extra für alle Teilnehmer/innen entworfene und in Doha hergestellte Shirt mit den Flaggen (vorne) und den Namen der 4 zentralasiatischen Länder hinten, das ich mir bis zur Siegerehrung heute im Parliament Hotel sozusagen aufheben will.
Der L-förmige Park wirkt gepflegt, sauber, grün und farbenfroh mit Pavillons, an seinem Ende befindet sich das Denkmal für Khujandi, einen lokalen mittelalterlichen Dichter, sowie ein im mittelalterlichen Stil erbautes Haus. Gärtnerinnen setzen Herbstblumen, für das Geschehen haben die Frauen kein Auge. Es mag sein, dass hier öfters Jogger unterwegs sind. Ziyad hat bekundet, dass Z-Adventures bisher in Tadschikistan noch nie einen Marathon organisiert hat.
Ich knipse wieder, da es ein Rundkurs im Uhrzeigersinn ist, muss ich mich umdrehen, wenn mich jemand überholt, um diese/n von vorne ins Bild zu bekommen. Mario und Jack werden von Arkadiusz locker und leichtfüßig überlaufen. Dasselbe passiert mir fast von allen Startern – bis auf jene, die von Anfang an hinter mir sind. Es gelingt mir auf der vorletzten Runde Thomas Godlewsky, Don Bierer, und Karen Mitchelsen zu überholen, Doris und Deborah liegen zwei Runden hinter mir. Auf Lichu habe ich nicht geachtet, sie müht sich redlich ab und wird auch heute wieder finishen.
Das fast gewohnte Ergebnis bei den Herren lautet: Arkadiusz mit 3:53:22 h vor Mario Sagasser (für den es der erste und einzige Marathon auf der Tour ist, 4:09:40) und Jack Haug (4:37:03). Bei den Frauen heißt die Siegerin heute Yvonne Dubois (4:59:42), vor Sally Shreeves (5:13:18) und schon weiter zurück Parvaneh Moayedi (6:09:12).
Alle Ergebnisse finden sich unter https://www.webscorer.com/race?raceid=332488.
Bei jedem Lauf hat es für die Finisher eine anders farbige Medaille mit farbigem Band geg eben, die stets das jeweilige Land hervorhebt – die heutige hat violett als Grundton. Bei der Siegerehrung werden wir die Abschlussplakette erhalten, die alle vier Länder der Region in den geografischen Dimensionen darstellen wird.
Mit dem letzten Bus geht es nach 15 Uhr zurück zum Hotel, zum Duschen bleibt mir dann eine halbe Stunde Zeit. Als ich auschecke, steht ein Lunchpaket bereit mit geschnetzelten Rindfleisch und Nudeln. Ziyad nimmt die Ehrung vor, die sich auf alle bezieht. Bei den Veteranen bleiben Steve Fuller, Donald Bierer in der Wertung vor mir, die Bronzemedaille wirkt aber farblich fast wie eine goldene.
Erst nach 17 Uhr fahren wir mit dem Bus zurück nach Taschkent, wo wir gegen 21:30 Uhr ankommen (der Grenzübertritt ist genau so mühsam wie bei der Hinreise). Einige verzichten auf das Abendessen, weil sie einen Nachtflug haben, andere bleiben über Nacht im Sporthotel. Die Marathontour endet offiziell am 15.10.2023
Kurze Schlussbetrachtung
Man muss sich wahrlich nicht rechtfertigen, wenn man an einer abenteuerlichen, stressigen, spannenden und letztlich schönen Reise teilnimmt, deren Hauptziel es ist, gemeinschaftlich mehrere Marathons in abgeschiedenen Ländern unter Wettkampfbedingungen sowie nachvollziehbaren Vorgaben zu bestreiten. Inzwischen gibt es eine Vielzahl an Marathonveranstaltern, die ähnliche Rennen anbieten, sei es Albatros Adventure Marathons, Runbuk, eine Agentur die die World Marathon Challenge (7 Marathons, 7 Kontinente in 7 Tagen) ausrichtet, ein privater dänischer Laufclub, der im britischen Überseegebiet Gibraltar für seine Mitglieder regelmäßig einen Marathon durchführt oder StarRace, eine US-Agentur, die etwa heuer wieder im Ministaat Vatikan ein offizielles Rennen über die 42.195 km abgewickelt hat. Die technische Rückversicherung ist in allen Fällen GPS, bei Unklarheiten kann man seine eigene Daten jederzeit, falls sie auf der Uhr gespeichert sind, hochladen und so den Nachweis erbringen.
Es ist müßig darüber zu philosophieren, ob ein Veranstalter bei Serienmarathons (bspw. 10in10) für eine Handvoll Teilnehmer großzügig 8 Stunden Öffnungszeit anbietet oder doch nur 6, wie ich 2017 an der Kanalküste erleben durfte und dort 4 Marathons an 4 Tagen unter der vorgegebenen Zeit geschafft habe. Das Regelwerk des Country Club und der Globetrotters sowie internationale Laufclubs anerkennen und werten unsere Marathontour in Zentralasien. Uns allen ist es egal, wenn sich Besserwisser, Neider oder andere Zeitgenossen daran stoßen!
Weitere Fotos von der Central Asian Marathon Challenge
Berichte der ersten 3 Marathons:
Kommentare
Sehr gut geschrieben und tolle Fotos zu den jeweiligen Marathons
Einfach super